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Karte aus einem Bericht der Einsatzgruppe A für den Zeitraum 15. Oktober 1941 bis 31. Januar 1942

Radikalisierung während des Zweiten Weltkriegs

Die Kriegsjahre sind durch veränderte Aufgabenbereiche und eine quantitative und qualitative Radikalisierung der Verfolgung gekennzeichnet.

Die Stuttgarter Gestapo war nicht nur durch die Organisation und Durchführung der Deportation der Juden und der Sinti und Roma aus Württemberg und Hohenzollern maßgeblich am Völkermord beteiligt. Sie stellte auch einen Teil des Personals der Einsatzgruppen, die vor allem in Polen und der Sowjetunion millionenfachen Mord begingen. In ganz Europa beteiligten sich die Beamten und Angestellten aus dem Südwesten an Verbrechen gegen die Bevölkerung.

Aus Sicht der Gestapo ging von dem massenhaften Einsatz von ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen in der Landwirtschaft und der Rüstungsindustrie des Deutschen Reichs ein kaum überschaubares Risiko aus. Spätestens ab 1942 band die Überwachung der Zwangsarbeiter einen beträchtlichen Teil der Kapazitäten der Gestapo.

Um die deutsche Gesellschaft für die Kriegsbedürfnisse zu disziplinieren, wurde sie einerseits für ihre Anstrengungen mit Gütern „entschädigt“, die in den eroberten Gebieten und von den Deportierten geraubt worden waren. Andererseits erhöhte die Gestapo auch auf sie den Verfolgungsdruck. 

Deportation von Juden aus Laupheim, 28. November 1941

Die Gestapo und der Völkermord

Die Beamten und Angestellten der Gestapo aus Württemberg-Hohenzollern waren in mehrerer Hinsicht Akteure bei den im Laufe des Zweiten Weltkriegs begangenen Verbrechen. Während Kommandierungen von Gestapo-Mitarbeitern zur Wehrmacht sehr selten waren, stieg der Bedarf an Personal für die repressiven polizeilichen Besatzungsbehörden nach Kriegsbeginn schlagartig an. Zur Deckung des Bedarfs zog das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) die erfahrenen Kriminalisten aus dem Reich heran.

In den annektierten Gebieten errichtete das RSHA nach dem aus dem „Altreich“ bekannten Muster regionale Zentralen der Gestapo. In den besetzten Gebieten, vor allem in Polen und der Sowjetunion, wurden Einsatzgruppen gebildet, die aufkeimenden  Widerstand brechen sollten. Sie verfolgten und ermordeten die kulturelle, wirtschaftliche und politische Elite der Länder und vollzogen durch ungezählte Massenerschießungen den Völkermord an der jüdischen Bevölkerung und den Sinti und Roma. Einen Teil des Personals der Einsatzgruppen stellten auch die württembergische Kriminalpolizei und die Gestapo. Neben den mobilen Einsatzgruppen errichtete das RSHA feste Dienststellen, so genannte Befehlshaber oder Kommandeure der Sicherheitspolizei und des SD, die die einheimische Bevölkerung überwachten und Repressalien gegen sie ergriffen. Auch hier dienten Beamte aus Württemberg und Hohenzollern.

Es gehörte zur erklärten Personalpolitik, dass sich möglichst viele Angehörige der Gestapo beim „auswärtigen Einsatz“ bewähren sollten. Walter Stahlecker, seit 1934 in Stuttgart als Leiter der Politischen Polizei Nachfolger von Hermann Mattheiß, führte ab Juni 1941 die Einsatzgruppe A und meldete in kurzer Zeit die Ermordung von fast 220.000 Menschen nach Berlin. Ein Einsatzkommando der Einsatzgruppe führte Rudolf Erwin Lange, der 1939/40 ein Jahr stellvertretender Leiter der Stuttgarter Gestapo gewesen war. Als „Praktiker“ des Massenmords war er 1942 Teilnehmer der Wannsee-Konferenz. Aber nicht nur die leitenden Beamten, sondern auch die unteren Ränge und die Frauen, die als Sekretärinnen oder Stenotypistinnen arbeiteten, leisteten Dienst in den besetzten Gebieten. Diese Einsätze waren in der Regel zeitlich befristet. Danach kehrten die Angehörigen der württembergischen Gestapo nach Stuttgart oder zu den Außenstellen zurück. 

Walter Stahlecker, seit 1934 Leiter der Politischen Polizei in Stuttgart, führte ab Juni 1941 die Einsatzgruppe A im Baltikum. Nach kurzer Zeit meldete er die Ermordung von fast 220.000 Menschen.

Die Deportationen

Anfang Dezember 1941 deportierte die Gestapo die ersten Juden aus Württemberg und Hohenzollern. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs waren es etwa 2.500 Männer, Frauen und Kinder. Im August 1941 hatte die Gestapo von der Kriminalpolizei zudem die „Zuständigkeit“ für die württembergischen Sinti und Roma übernommen. Sie wurden ebenso wie die jüdische Bevölkerung in Konzentrations- oder Vernichtungslager deportiert.

Dieses zentrale Verbrechen des Nationalsozialismus wurde von der Gestapo organisiert und durchgeführt. Sie stützte sich dabei auf die Zuarbeit zahlreicher staatlicher Stellen und anderer Polizeibehörden.

Auszug aus dem Erlass der Gestapo zur ersten Deportation von Juden aus Württemberg und Hohenzollern, 18. November 1941

Die Gestapo und die Zwangsarbeiter

Unmittelbar nach dem Überfall auf Polen begannen die deutschen Behörden, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich zu bringen. Sie sollten in der Landwirtschaft und der Rüstungsindustrie den Arbeitskräftemangel ausgleichen. Mit der Dauer des Kriegs und seiner geografischen Ausweitung stieg ihre Zahl kontinuierlich an. Die Gestapo übernahm die Aufgabe, diese „Fremdvölkischen“ zu überwachen und deren Kontakt mit der deutschen Bevölkerung auf ein Mindestmaß zu beschränken. Begründet durch ihren biologistischen Rassismus, sahen die Nationalsozialisten in den Zwangsarbeitern eine Gefahr für die „Reinheit des deutschen Blutes“.

Die Gestapo in Stuttgart vergrößerte ihr Referat für ausländische Arbeiter im Hotel Silber stetig. Die Beamten und Angestellten standen in ständigem Kontakt mit den Verantwortlichen der großen Rüstungsbetriebe, die Verdächtiges wie Sabotage oder auch nur langsames Arbeiten meldeten.

In Rudersberg und Oberndorf errichtete die Gestapo so genannte Arbeitserziehungslager. In ihnen wurden vornehmlich Zwangsarbeiter inhaftiert, die gegen das kaum zu überblickende Regelwerk für ausländische Arbeiter verstoßen hatten.

Mit besonderer Brutalität ging die Gestapo gegen Polen und Arbeitskräfte aus der Sowjetunion vor. Sie waren der ordentlichen Gerichtsbarkeit völlig entzogen. Es lag allein in den Händen der Gestapo, etwa bei Verdacht einer Beziehung zwischen einer deutschen Frau und einem polnischen Zwangsarbeiter, den Mann zum Tode zu verurteilen und zu erhängen.

Kennkarte des polnischen Zwangsarbeiters Boleslaw Prochazka, dem vor der Erfassung die Haare geschoren wurden, 1940
Meldung der Gestapo-Außenstelle Oberndorf an das Standesamt Tuttlingen über den Tod von Boleslaw Prochazka, 26. August 1944

Die Überwachung der deutschen Kriegsgesellschaft

Vergehen wegen so genannter „Heimtücke“ oder „Wehrkraftzersetzung“ waren die häufigsten Begründungen für Verhaftungen, Einweisungen in Konzentrationslager und Todesurteile durch das Sondergericht. Auch das Hören von „Feindsendern“ oder pessimistische Äußerungen zum Kriegsverlauf riefen die Gestapo auf den Plan. Dabei ermittelte die Gestapo in der Regel nicht selbst – dafür war sie personell zu schwach besetzt –, sondern verließ sich auf Anzeigen und Denunziationen aus der Bevölkerung.


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