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Ein ehemaliger Buchenwald-Häftling bei der Kriminalpolizei

Eugen Waller leitete ab Juni 1945 die KZ-Prüfstelle der Stuttgarter Kriminalpolizei. Er kehrte dafür in das Hotel Silber und damit an den Ort zurück, an dem genau neun Jahre zuvor sein Weg durch verschiedene Gefängnisse und Konzentrationslager begonnen hatte. Ein Weg, den er im Übrigen nicht alleine ging. Mindestens 17 ehemalige Verfolgte arbeiteten nach 1945 für das Stuttgarter Polizeipräsidium.

Die Gestapo hatte Waller im Juni 1936 zusammen mit Dutzenden anderen Mitgliedern eines Netzwerks von KPD-Anhängern verhaftet. Kriminalinspektor Wilhelm Imhoff, der die Ermittlungen der Gestapo leitete, berichtete nach Berlin, dass bei Waller „an ein Geständnis nicht zu denken“ sei. Er wurde dennoch zu zwei Jahren Haft wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. Nach der Verbüßung verhängte die Gestapo „Schutzhaft“. Über Welzheim und Dachau kam Waller im September 1939 in das Konzentrationslager Buchenwald. Er kümmerte sich dort zusammen mit anderen Häftlingen auch um den dreijährigen Stefan Jerzy Zweig, dessen Schicksal und vor allem die Rolle der politischen Häftlinge im KZ Buchenwald durch die fiktionalisierte Darstellung in Bruno Apitz´ Roman „Nackt unter Wölfen“ weltberühmt wurde.

Wallers erste Aufgabe nach der Befreiung bestand als Leiter der KZ-Prüfstelle darin, einen kleinen Konvoi von zwei Lastwagen nach Terezin zu führen, um die dort noch im befreiten KZ Theresienstadt ausharrenden überlebenden Juden aus Württemberg abzuholen. Nach der Auflösung der Dienststelle im Dezember 1948 wechselte er in den normalen Kriminaldienst.

Waller war entschlossen, seine Ideale auch im Polizeidienst zu verfechten. Dazu gehörte vor allem das kritische Hinterfragen von Denk- und Handlungsmustern – ein Ansinnen, das in der noch stark von autoritären Strukturen geprägten Polizei für Konflikte sorgte.

Während eines internen Lehrgangs wurde etwa seitens eines Vorgesetzten der langjährige Kriminalbeamte der Stuttgarter Polizei, Christan Wirth, als vorbildlicher Ermittler dargestellt. Unerwähnt blieb, dass eben dieser Beamte ab 1940 maßgeblich an den Krankenmorden und an der Ermordung der polnischen Juden in den Vernichtungslagern Treblinka, Sobibor und Belzec beteiligt gewesen war. Waller erhob sich und protestierte energisch.

Gleiches geschah, als während einer Dienstbesprechung neue Richtlinien zum Umgang mit Obdachlosen bekannt gegeben wurden – Obdachlosigkeit war in den 1950er Jahren noch ein Straftatbestand. Wieder entdeckte Waller „sein soziales Gewissen“, wie sein Vorgesetzter beleidigt glaubte feststellen zu können, und machte soziale und rechtliche Bedenken geltend mit „für einen Kriminalbeamten mindestens eigenartigen Argumenten“.

Diese Auseinandersetzungen führten auch dazu, dass Waller vielleicht zu oft und zu schnell Konflikte politisierte und Vorbehalte gegen ihn als alleinige Reaktion auf seine Vergangenheit interpretierte. Nicht dass er dazu keinen Anlass gehabt hätte. Ein Inspektionsleiter der Kripo sagte ihm offen, dass er die Sabotage der KZ-Häftlinge in den Rüstungsbetrieben während des Kriegs für verwerflich halte. Auch die Tatsache, dass die Geschäfte der KZ-Prüfstelle nach deren Auflösung von der Dienststelle 8 „Friedensstörung“ bearbeitet wurden, frustrierte ihn. Zwar leitete mit Hermann Faas ebenfalls ein ehemaliger Verfolgter dieses Sachgebiet, doch arbeitete dort ab 1951 auch der ehemalige Gestapo-Beamte Viktor Hallmayer – mit der vollen Zustimmung von Faas. Die Vorstellung, dass dieser nun Anträge zur Wiedergutmachung von während der NS-Zeit erlittenem Unrecht bearbeitete, war für Waller schwer zu ertragen.

Die Weigerung der Leitung der Kriminalpolizei und des Polizeipräsidiums, ihn in den gehobenen Dienst zu übernehmen, war dagegen plausibel dienstlich begründet. Auch gab es außerdienstliche Vorfälle, die ernstliche Konsequenzen hätten haben können, wenn sich die Leitung nicht vor ihn gestellt hätte.

Waller erfuhr viel Zuspruch und viele Vertrauensbeweise von Seiten seiner Kollegen. So wurde er 1949, also nicht lange nach seinem Protest gegen die Ehrung von Christian Wirth, in den Betriebsrat gewählt und zusätzlich zum Vertrauensmann ernannt. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass sein Eintreten für einen reflektierten Umgang der Polizei mit der eigenen Geschichte und ihrem vielfach überholten Selbstverständnis vielen Kollegen durchaus willkommen war.

Eugen Waller, nach 1945

Weitere Infos

Der Autor und Filmemacher Hermann G. Abmayr beschäftigte sich intensiv mit Willi Bleicher, einem Leidensgenossen von Eugen Waller im KZ Buchenwald und Unterstützer von Stefan Jerzy Zweig.

Abmayr, Hermann G.: Wir brauchen kein Denkmal. Willi Bleicher. Der Arbeiterführer und seine Erben. Stuttgart 1992.

Abmayr, Hermann G.: Willi Bleicher. Widerstandskämpfer und Arbeiterführer – Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Dokumentarfilm, Deutschland: BR, 60 Min., 2007.

Kurzbiografie Eugen Waller

  • geboren am 30. Januar 1908
  • während der Weimarer Republik Anstrengung mehrerer Ermittlungsverfahren mit politischem Hintergrund gegen ihn, jedoch Einstellung der Ermittlungsverfahren
  • im Februar 1933 Beurlaubung als Verwaltungsangestellter beim Süddeutschen Rundfunk aus politischen Gründen, Entlassung am 30. Juni 1933
  • Tätigkeit als Metallarbeiter
  • am 27. Juli 1936 Verhaftung durch die Gestapo wegen illegaler Tätigkeit gegen den Nationalsozialismus
  • am 5. Mai 1938 Verurteilung zu zwei Jahren Zuchthaus wegen Vorbereitung zum Hochverrat
  • im November 1938 Einweisung in das Schutzhaftlager Welzheim
  • Überstellung in weitere Lager: im Januar 1939 in das Konzentrationslager Dachau, im September 1939 in das Konzentrationslager Buchenwald, im November 1944 in das Konzentrationslager Mittelbau-Dora
  • am 13. Juni 1945 Eintritt in die Kriminalpolizei des Polizeipräsidiums Stuttgart (damals noch „Chef der deutschen Polizei der Stadt Stuttgart“) und Leitung der KZ-Prüfstelle
  • von Januar 1949 bis zum Ruhestand am 1. April 1968 Tätigkeit in verschiedenen Dienststellen der Kriminalpolizei, zuletzt als Kriminalkommissar
  • gestorben am 10. Februar 1975

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